Anwendungen aus Bereich Bio- und Nanotechnik

Mikrotechnik begreift sich selbst als Schlüsseltechnologie, die es anderen Fachbereichen ermöglicht, neue Funktionalitäten sowie billigere und bessere Produkte zu entwickeln. Während die Silizium-Mikrotechnik fest mit der (Mikro-)Elektronik-Revolution verbunden ist, bietet die Kunststoff-Mikrotechnik gerade im Bereich Biotechnik viel Potential für die Zukunft. Gründe dafür sind:
Die große Auswahl verschiedener Kunststoffe, die sich hinsichtlich ihrer chemischen, mechanischen und optischen Eigenschaften unterscheiden, ermöglichen ihren Einsatz in der Mikrotechnik für ein breites Spektrum unterschiedlicher Anwendungen. Auch lassen sich Kunststoffe, die etwa zur Herstellung von Mikrobeads verwendet werden, gut mit biogenen Materialien beschichten und vorhandene „Kochrezepte“ können relativ einfach auf konkrete Anwendungen übertragen werden.
Replikationsverfahren wie Spritzgießen und Heißprägen ermöglichen prinzipiell die Low-Cost-Produktion von Mikrobauteilen, die auch den Einsatz von einmal verwendbaren Komponenten wirtschaftlich machen kann und so bei anwendungsbedingte Verunreinigungen keine Reinigung erfordern. Oder auch die Einbettung von Bauteilen aus der Silizium-Mikrotechnik in größere und kostengünstigere Kunststoff-Mikrobauteile, die eine vereinfachte Handhabung ermöglichen.
Allerdings erfordern Entwicklungen in diesem Bereich ein sehr hohes Maß an Interdisziplinarität. Dies liegt an der engen Verknüpfung von Fertigungstechnik und Funktionalität und den speziellen Problemstellungen, die bei der Verwendung von biogenen Materialien und biologischen Prozessen oder auch nur Flüssigkeitsmengen im Bereich von Nanolitern und weniger entstehen.




Sind in einem Bauteil biogene Beschichtungen wie Aptamere oder Proteine erforderlich, müssen alle der Beschichtung nachfolgende Fertigungsschritte mit dem chemisch und thermisch sensiblen biogenen Material kompatibel sein, oder das Bauteil muss so konzipiert sein, dass eine zuverlässige Integration solcher Stoffe als letzter Fertigungsschritt möglich ist. Fügetechniken müssen gut auf diese Stoffe abgestimmt sein. Insbesondere reagieren komplexe biochemische Prozesse sehr empfindlich auf die Anwesenheit auch nur in Spuren vorhandener Verunreinigungen wie etwa Ausgasungen von Klebstoffen oder Reste von Entformmitteln.
Besonders in Mikrobauteilen spielen beim Einsatz von Flüssigkeiten Austauscheffekte mit der Umgebung eine große Rolle. Auf Grund des prinzipiell großen Oberflächen/Volumen-Verhältnis in der Mikrotechnik kommt es sehr schnell zu einem thermischen Ausgleich zwischen Flüssigkeits- und Bauteiltemperatur. Dies kann etwa zur Kühlung genutzt werden, erschwert aber oft eine einfache Regelung der Flüssigkeitstemperatur. Ebenfalls kann die Verdunstung etwa von Wasser bei Verwendung von nicht gasdichten Membranen sehr stark sein, so dass sich scheinbar geschlossene Kavitäten innerhalb kurzer Zeit leeren. Andererseits erfordern beispielsweise Zellatmungsprozesse einen stetigen Gasaustausch in dem Sauerstoff zu- und Kohlendioxid abgeführt werden kann. Interdisziplinäre Erfahrungen wurden in der Zusammenarbeit mit anderen Fachrichtungen bei der mikrotechnischen Entwicklung für nano- oder biotechnische Anwendungen.

Beispiele für biotechnische Anwendungen:

Mikroreaktor mit magnetischen Beads

Magnetische Beads mit Durchmessern von wenigen Mikrometern sind heute Standardwerkzeuge im Bereich der Biotechnologie. Die funktionalisierte Oberfläche dieser Polymerkugeln erlaubt die hochspezifische Bindung etwa von Proteinen. Der superparamagnetische Kern der Beads ermöglicht eine Manipulation mit Hilfe von äußeren Magnetfeldern.


Wenige Mikrometer breite Permalloy-Strukturen sind auf Grund ihrer hohen magnetischen Permeabilität in der Lage, Magnetfelder auf Bereiche ähnlicher Breite zu fokussieren. Somit können auch in einem schwachen homogenen Magnetfeld lokal hohe Kräfte auf magnetische Beads erzeugt werden. Eine schnelle Fixierung oder Freisetzung von Beads wird dann allein durch das Schalten einer externen Magnetspule machbar (Patente 2+4). Optische Lithographie und Galvanik ermöglichen eine flexible Herstellung unterschiedlichster Mikrostruktur-Designs und hohen Aspektverhältnissen.

Aufbauend auf dieses Konzept eines magnetischen Mikroreaktors wird mit Partnern aus dem Bereich der Bioverfahrenstechnik die Verwendung des Mikroreaktors für eine Peptid-Festphasensynthese nach Merrifield untersucht und Konzepte zur Anwendung von ultrasensitiven Nachweismethode nach dem Biobarcode-Verfahren entwickelt. (Veröffentlichungen 5+10)

MIR-Flusszellen für MIR-Spektroskopie und MIR-Mikroskopie

In Kooperation mit dem Max-Planck-Institut in Golm wurden Flusszellen entwickelt, die für Licht im mittleren Infrarotbereich (MIR) transparent sind und sich für den Einsatz in der MIR-Beamline der Synchrotron-Strahlungsquelle BESSY eignen. Für die MIR-Untersuchungen wurde eine Flusszelle mit Kanalhöhen kleiner als 20 Mikrometer entwickelt, die sowohl den Abmessungen als auch den Absorptionswerten im MIR-Bereich befriedigten. Weiterhin wurden fluidische Anschlüsse mit Pumpen und eine geregelte Heizvorrichtung entwickelt, die beispielsweise eine Kultivierung von Endothel-Zellen auf dem Substrat über mehrere Tage ermöglicht. Nach erfolgreich durchgeführten Zellkultivierungstests wurde dieser Aufbau dann als Plug-and-Play-Aufbau an den Kooperationspartner ausgeliefert. (Veröffentlichungen 1+4+13)

 

Zelladhäsions-Sensor

Das Adhäsionsverhalten von Endothel-Zellen, die auf Oberflächen kultiviert werden, ermöglicht Untersuchungen zum Zellmetabolismus. In Kooperation mit der Hochschule  Mannheim wurde ein Zellkultursystem mit integrierten, elektrischen Adhäsionssensor für die Untersuchung des Adhäsionsverhaltens von Stammzellen an proteinbeschichtete Oberflächen konzipiert und die Eignung verschieden hergestellter Oberflächen getestet (Veröffentlichungen 2+3).

Chemisch inerte HPLC-Flusszellen

Im Rahmen einer Auftragsentwicklung für die Fa. Agilent Technologies wurde eine chemisch inerte HPLC-Flusszelle entwickelt. Die HPLC-Technik ist in der Bio- und Medizintechnik weit verbreitet und erfordert besonders dort den Einsatz von starken Lösemitteln. Insbesondere der Einsatz Acetonitril, einem sehr starken organischen Lösemittel, schränkt die Verwendung Kunststoffen in diesem Bereich auf PEEK, einen chemisch hochinerten Kunststoff, ein. Auch ist die Verwendung von anderen Materialien wie Metallen nur sehr eingeschränkt möglich, was die Entwicklung neuer Techniken erforderte. Für die Entwicklung einer neuen Flusszellen-Generation wurden geeignete daher Fügeverfahren entwickelt, die sich zum einen für die anwendungs­spezifische Materialkombination Glas/Kunststoff eignet (Patente1+5). Auch ein neues Fertigungsverfahren, das eine hochpräzise Positionierung von fluidischen und optischen Anschlüssen für diese Flusszelle ermöglicht, totraumarm ist  und einen Betrieb von mehreren hundert bar erlaubt.(Patent 3)

 

Nanofluidik

Untersuchung zur Fluiddynamik mit fluoreszierenden Aktinfilamenten Mikrokanälen ( Kooperation mit dem MPI-Göttingen):

In Kooperation mit der Universität Heidelberg wurde im Rahmen eines Forschungsprojekt die Herstellung von mikrofluidische Flusszellen mit Strukturdetails im Submikrometerbereich erarbeitet, die nanofluidische Untersuchungen mittels optischer Methoden (Laserholographie und Summenfrequenzverfahren) erlauben. Anhand der lithographisch strukturierten Kanalsysteme mit definierter Höhe und Kanalbreiten bis hinunter zu 250 Nanometer soll der Einfluss von Makromolekülen an den Kanalwänden auf die Strömung durch den Kanal untersucht werden. (Veröffentlichungen 6,8,11,12)

 

 

Dr.-Ing. Tilmann Rogge

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